Erstellt von Taki am Dienstag, Oktober 10, 2006 @ 13:53:02:
Eben habe ich das neu erschienene Buch bekommen "Die Welt war so heil" über das Schicksal von Else Ury und ihrer Familie. Unter anderem auch mit originalen Briefen aus der Zeit von 1938 - 43.
Ich kann es kaum erwarten, mit dem Lesen anzufangen - obwohl ich weiß, dass ich dann wieder total down sein werde. Das Schicksal von Else Ury geht mir, stellvertretend für die vielen anderen, die das gleiche durchlitten haben, immer ganz furchtbar an die Nieren.
Ich berichte dann über das Buch, wenn ich es durch habe.
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Erstellt von Taki am Samstag, Oktober 14, 2006 @ 15:54:41:
Das Buch ist schon lange ausgelesen - ich hatte ja versprochen, was dazu zu schreiben. Es ist nur so, dass ich mich damit echt ein wenig schwertue, ehrlich gesagt. Ich hatte ein Else-Ury-Buch erwartet - das ist es eben nur begrenzt. Inhaltlich geht es bei dem Buch um die letzten Jahre der gesamten Ury-Familie bevor fast alle im KZ umgekommen sind, aber auch das wird eigentlich immer nur kurz angerissen. Hauptanteil im Buch ist der Briefwechsel zwischen Else Urys in London lebendem Neffen und seinen Eltern. Und in den Briefen geht es fast ausnahmslos um hin-und-her zu schickende Wäsche, Geburtstagswünsche und Ähnliches. Natürlich erfährt man dabei auch einiges, was bisher nicht bekannt war und natürlich ist das Buch ein Must-Have für Ury Fans - aber es liest sich eben doch recht mühsam, wenn zum 30. Male die Rede von zu waschenden Hemden ist. Von Else Ury gibt es leider nur wenige Briefe, die meisten sind von ihrer Schwester und ihrem Schwager an den Sohn in London.
Versteht mich bitte richtig: ich hatte natürlich keinen Abenteuer-Roman erwartet, logisch, und mir war auch klar, dass es sich dabei um schwere Kost handeln muss - das liegt einfach in der grausamen Thematik dieser jüdischen Schicksale. Aber ich bin trotzdem ein bißchen enttäuscht von dem Buch. Gerade weil mir Else Ury so am Herzen liegt und man auch wirklich grundsätzlich jedes Buch begrüßen sollte, dass sich mit den Schicksalen aus dieser Zeit auseinandersetzt.
Sorry, wenn ich mit meiner Ansicht über das Buch so hin- und herschwanke und das auch nicht so richtig zu Laptop bringen kann. Hat es eine von Euch schon gelesen? Ich hätte da wirklich Gesprächsbedarf. Außerdem werd ich es auf jeden Fall gleich demnächst nochmal lesen. Manche Sachen kann man vielleicht auch nicht auf einen Sitz sofort verdauen und einordnen.
Trotz kleiner Enttäuschung: Das Buch bekommt von mir auf jeden Fall das Prädikat "Empfehlenswert". Einfach schon deshalb, weil es ein ungewöhnliches Dokument ist.
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Erstellt von Annelore am Samstag, November 11, 2006 @ 13:06:28:
Gestern habe ich das Buch ausgelesen, nachdem ich durch Dich überhaupt erst darauf gestoßen war (DANKE!).
Ich habe lange daran gelesen (für meine Verhältnisse), immer wieder zurück- und auf den Stammbaum geblättert usw.
Ja, es geht um viele Alltäglichkeiten, der hin- und hergeschickte Wäschesack ist eine Greuel! Aber was für mich gerade in diesen familiären Alltagsschilderungen so deutlich wurde, ist, wie sich da grausame Netz der Nationalsozialisten langsam und für viele ohne dass sie die Dimensionen erfassen konnten, zuzog: Eine Familie, die an den deutschen Rechtsstaat glaubte und nicht im mindesten erahnte, dass es lebensbedrohlich für sie werden könnte! Aus heutiger Sicht lässt sich so leicht sagen, was man hätte absehen können, so leicht fragen, warum sie nicht eher und weiter geflohen sind. In all diesen Briefen wird es erschreckend deutlich: Bis zum Kriegsausbruch, als keine weitere Flucht z.B. nach England mehr möglich war, gab es familiären Alltag, in dem Windjacken, Fahrräder und Briefe hin- und hergeschickt wurden über mehrere Ländergrenzen hinweg, in der sogar Urlaubsreisen mit dem Schiff geplant wurden, bei der man hätte den Sohn treffen können nach langer Zeit, ohne aber im enterntesten daran zu denken, das es besser wäre, gleich dort zu bleiben, Alltag, in dem der Sohn viel Arbeit hatte und es nicht so toll fand, dass die Mutter gerade dann zu Besuch kommen wollte etc.
Das hat mich sehr berührt und Vieles klargemacht. Ja, es gab Jahre früher Menschen, die weitsichtiger waren und emigrierten, aber hier wird das ganz normale kleine Leben einer bürgerlichen Familie sichtbar, die an ihrem Zuhause, ihrer Heimatstadt, ihren Angehörigen hängt und an "Recht und Ordnung" glaubt. Erschreckend!
Erschütternd auch die im Buch sehr klar werdende Position von Else Ury als alleinstehender Tochter, die die alte Mutter pflegt und deshalb zurückbleibt in Deutschland, als alle anderen gehen, als alle anderen auch Perspektiven haben, das Land zu verlassen, weil sie Verwandte haben, die sie "anfordern" können. Sie kann nicht weg, ausser sie lässt die Mutter zurück. Undenkbar. Jüngere Frauen aus der Familie hatten den Mut und schafften es allein. Ich lese heraus, dass sie es auch gern getan hätte, dass sie eher noch als ihre Schwester einen Neuanfang gewagt hätte, dass aber ihr Platz klar war. So blieb sie, die jahrelang für alle gesorgt hatte - ideell und finanziell -, die ihr Ferienhaus für die große Familie und für Freunde gekauft hatte, einsam zurück. Das war für die anderen belastend (speziell für ihre Schwester, die sie in keinem Brief unerwähnt lässt), aber so war es. Deutsches Bürgertum. Traditionen. Rollen.
Für mich ein äußerst anschauliches Stück Zeitgeschichte, eindrücklich in der Normalität, das mich wieder dazu anregt, mich auch weiter vertieft mit Else Ury zu beschäftigen.
Danke nochmal für den Lesehinweis!
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Erstellt von Taki am Samstag, November 18, 2006 @ 00:40:40:
So habe ich es auch empfunden, wie du es beschreibst. Beim 2. Lesen habe ich über Stellen hinweg gelesen und mehr versucht, zwischen den Zeilen zu lesen - und da kommt viele raus, was ich vorher einfach übersehen hatte. Ich war beim ersten Lesen so begierig dadrauf, endlich mehr über Else zu erfahren, persönliche Briefe von ihr endlich zu lesen, dass ich es auch einfach zu hastig verschlungen habe. Ich war halt drauf eingestellt, ganz und gar auf ihren Spuren zu wandeln - und das war so dann erstmal nicht möglich - von daher musste es für mich ein wenig enttäuschend sein. Aber das habe ich inzwischen überwunden.
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Erstellt von Daniela am Montag, Februar 12, 2007 @ 14:17:05:
Ich bin grad mittendrin im Buch und war ja schon drauf gefasst, daß es nicht soo spannend sein würde ... aber ich bin wirklich angenehm überrascht!
OK, es ist schon etwas eintönig, ständig über hin- und hergeschickte Wäsche zu lesen.
Ich verstehe das ganze Thema mit der Wäsche sowieso nicht, Else Urys Schwester Käthe
schreibt ihrem Sohn Klaus, er solle die Wäsche lieber zum waschen nach Deutschland schicken,
die Engländer würden die Sachen nicht pfleglich genug behandeln und man müsste vieles neu
anschaffen. Kann es denn billiger sein, die Sachen dauernd zu verschicken und Porto und Zoll
dafür zu bezahlen?? Naja.
Aber man erfährt viele z.T. sehr spannende Details über die Familie Ury, ich kann das Buch wirklich empfehlen.
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