Jetzt ist mir gerade aufgefallen, dass ich Euch ja teilhaben lassen wollte an dem Artikel, den ich geschrieben habe. Leider ist aus der Zeitschrift dieser Artikel grad nicht öffentlich sichtbar, aber da ich die Autorin bin, kann ich ihn ja Euch hier einstellen:
Mordsfrau am Mittagstisch Von Heidrun Hemme
Der Ex will den Sohn entführen? Ein Wurf mit dem extrascharfen Küchenmesser trifft den Herzbeutel – Problem gelöst. Die Leiche fortzuschaffen ist jetzt beinahe das größere Problem. Verliebt in den Elektromonteur – aber der hat schon eine Lebensgefährtin? Lammfleischklößchen orientalisch mit geriebenen Erdnüssen – das löst einen allergischen Schock aus … und der Weg zum Herzen des Auserwählten ist frei. So geschieht es in „Der Mittagstisch“, dem neuesten Roman von Ingrid Noll. Da geht es nicht in erster Linie um die Tötungsdelikte Mord und Totschlag – denn beide sind im Grunde nur logische Folgen, damit das Leben gelingt und die erzählte Geschichte mit Liebe und Familie zu einem glücklichen Ende kommt.
Die Protagonistinnen in den Romanen von Ingrid Noll finden unkonventionelle Lösungen – und immer sind sie kreativ beim Vertuschen. Die Leserin fiebert mit und hofft, dass alles gut ausgeht. „Gut“, das bedeutet, dass die Polizei nicht drauf kommt: dass die Frau weder als Täterin entlarvt wird noch dass die Leserin sie überhaupt als Täterin ansieht. Es ist doch eher ein unglücklicher Zufall oder ein halbherzig und doch gut geplanter Unfall, der zum Tode einer unliebsamen Person führt – und zugleich den Weg frei macht für Liebe und Glück, auch für Besitz und Sicherheit.
Mordsfrau
Wahrscheinlich ist es das: als Leserin wird man in die Gefühle und Gedanken der ich-Erzählerin mit hineingenommen und kann sie gut nachempfinden. Selbst Skrupel und das schlechte Gewissen klingen gelegentlich an, sind geradezu die Entschuldigung: Sie kann ja gar nicht anders! Schwarzer Humor auf allen Seiten lässt die Leserin das Buch nach der letzten Seite mit einem mehr oder weniger großen Lachen schließen. Denn: „die meisten Opfer haben es durchaus verdient, von Ingrid Noll auf perfide und ziemlich elegante Weise um die Ecke gebracht zu werden,“ heißt es dazu in einem Artikel der Tageszeitung „Die Welt“.
Und wer ist nun die Mordsfrau, die diese erfolgreichen Romane schreibt? Ingrid Noll wurde 1935 als Tochter eines deutschen Arztehepaares in Shanghai geboren, sie wuchs in China auf und kam mit ihren Eltern 1949 nach Deutschland. Ihr erstes Buch „Der Hahn ist tot“ schrieb sie erst nachdem ihre Kinder aus dem Haus und ihr Mann im Ruhestand war. Das Buch wurde 1991 ein Erfolg, es war ihr Durchbruch mit 55 Jahren. Warum erst so spät? Andere Frauen denken in dem Alter schon fast an den Ruhestand. Sie begründet es so, dass sie zuvor für „so einen Luxus“ keine Zeit gehabt hätte. Schließlich hatte sie drei Kinder zu erziehen und unterstützte ihren Mann in dessen Arztpraxis. Doch seit diesem Erfolg erschien alle zwei Jahre, manchmal früher, manchmal etwas später, ein neues Buch. Alle wurden ein Erfolg.
Schreibklausur mit 81
Die Anerkennung ist groß für ihre Bücher: neben Literatur-Preisen wie dem „Friedrich-Glauser-Ehrenpreis der Autoren“ für ihr Lebenswerk bekam sie im März 2016 den Titel „Ehrenkommissarin“ von der Bonner Polizeipräsidentin U. Brohl-Sowa verliehen. Die Salzburger Nachrichten bezeichnen Ingrid Noll als „die deutsche Patricia Highsmith“ – und selbst in der Literaturwissenschaft sind die Romane und ihre Autorin Gegenstand der Forschung geworden. „Zwischen Mauerblümchen und Femme fatale“ heißt eine Abschlussarbeit von Anna Lilly Wimmer über die Mörderinnen in den Kriminalromanen von Ingrid Noll. Es ist nur logisch, dass viele dieser Bestseller mit ihren Bezügen zum Zeitgeschehen verfilmt wurden – so erschien z.B. „Die Apothekerin“ mit Katja Riemann in der Hauptrolle. Zur Zeit gibt Ingrid Noll keine Interviews – aber nicht, weil sie mit 81 vielleicht zu alt wäre, nein, sie befindet sich in Schreibklausur – wir dürfen ein neues Buch erwarten. Wie lange sie noch schreiben will? Ihre Großmutter wurde 105 Jahre alt, ihre Mutter 106. Sie selbst will keine langfristigen Prognosen aufstellen, aber so lange sie Freude daran hat, schreibt sie weiter.
_________________ "Gelehrt sind wir genug! Was uns fehlt, ist Freude, was wir brauchen, ist Hoffnung, was uns nottut, ist Zuversicht, wonach wir verschmachten, ist Frohsinn!"Prätorius in seiner Rede an die Studentinnen, in: Curt Goetz, Dr. med. Hiob Prätorius - herzlichst: Heidrun
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