Das zweite Geheimnis
Zwölf Jahre nach dem Mauerbau führt Ria Nachtmann ein weitgehend angepasstes Leben in Ostberlin. Niemand würde vermuten, dass sie einst als Spionin für den Bundesnachrichtendienst aktiv war. Nur eines hat die Jahre überdauert: ihre Liebe zu Jens, einem westdeutschen Journalisten. Doch Verbindungen mit dem Klassenfeind sind streng verboten. Als Ria ein geheimes Treffen arrangiert, wird sie bereits beobachtet. Ein gefährliches Katz-und-Maus-Spiel beginnt ...
Durch den Roman "Die fremde Spionin" habe ich zum ersten Mal etwas vom Autoren Titus Müller gelesen. Die Erzählweise und der Spannungsaufbau haben mir vor einem Jahr sehr gut gefallen und die um den Mauerbau in 1961 spielende Story wurde mein Monatshighlight.
Fast ein Jahr später nimmt Titus Müller in "Das zweite Geheimnis" die Leser mit in das Jahr 1973. Ich bin sehr gut in die fortgeführte Geschichte hinein gekommen. Kurz hatte ich überlegt, ob ich in den Vorgängerband noch einmal reinlese, habe dann entschieden, gleich mit dem neuen Roman los zu schmökern. Während des Lesens kamen dann auch bald Erinnerungen und auch der Autor streut immer wieder hilfreiche Informationen zu der ersten Geschichte ein. Kenntnis von Band eins ist hilfreich, aber nicht erforderlich, trotzdem möchte ich jedem empfehlen, sich das ganze Lesevergnügen zu gönnen und "Die fremde Spionin" nicht zu überspringen.
Gut ist auch, wenn man Zeit zum Lesen hat, denn ich habe sehr ungern den Roman beiseite gelegt. Und wenn, dann auch häufig, weil ich gleich noch einmal etwas im digitalen Geschichtsbuch nachlesen wollte oder ich unterbrach, weil mir Fetzen einfielen zur Handlung in anderen Büchern oder filmischen Darstellungen.
Ich habe zu Beginn bedächtig gelesen, auch manche Sätze zweimal. Zum einen, um nichts zu verpassen oder zu überlesen, aber auch, weil die Sätze einfach nur wunderschön formuliert sind. So möchte man sie am liebsten laut lesen und anstreichen. Man kann sie sich richtig von der Zunge fließen lassen. Z.B. der erste Satz vom zweiten Kapitel – das ist bildhafte Sprache, die viel Kopfkino bewirkt und für viel atmosphärische Stimmung sorgt. So wird es schnell zu einem grandiosen Lesegenuss! Im Verlauf des Buches habe ich auch mein Lesetempo wieder angezogen - doch für mich steht fest, ich werde die Bücher erneut lesen und dann kann ich hoffentlich bedächtiger lesen.
Ich benötige ohnehin Leseruhe, es stören mich keine Straßengeräusche, aber zu Musik/ Stimmen kann ich nicht parallel lesen. Dieses Buch habe ich auch noch mit angehaltenem Atem und flauem Bauch gelesen, weil es ein Tanz auf dem Drahtseil ist. Was habe ich um Ria im ersten Band gebangt, auch wenn ich wusste, dass Titus sie noch für die beiden nächsten Bände benötigt. Jetzt war ich gespannt, wie sie es in diesem Band nun schafft, sich durchzuschlängeln.
Manch ein Leser "stört“ sich vielleicht an detailreichen Beschreibungen von Honeckers Wagenkolonne oder Gastgeschenk- Aufzählungen, diese sind Ergebnisse von Recherche und daher für mich tolle informative Zeitdokumente und sie sind für mich wertvolle Ergänzungen.
Titus Müller gelingt es eine schöne Stimmung zu erzeugen, aber im nächsten Moment, so ganz beiläufig, beschreibt er im nächsten Satz Katastrophen. Beispiel: Eben noch segeln Möwen mühelos hin und her… ein Auto hält…zwei Männer greifen nach Armen.
Wir erfahren auch teilweise, was in den zehn Jahren zwischen den Geschichten geschehen ist. Rias Tochter ist inzwischen ein Teenager, aber da sie eine vielversprechende Turnerinnenkarriere erreichen kann, ist ihr Alltag vom Staat organisiert. Die Stasi, in Person von Marga, wirbt sie an, setzt sie unter Druck. Wir Leser haben diese Marga schon einige Seiten zuvor kennengelernt und hofften, mit ihr nichts mehr zu tun haben. Da setzt uns der Autor doch tatsächlich mit Marga in ihrer Wohnung ab, wir lesen von Selbstgesprächen und erleben, wie sie sich an Annie „ranmacht“. Oh nee! Es schüttelt einen, die Frau ist gefährlich.
Dem Autoren gelingt auch, einen Protagonisten, den ich im ersten Buch nicht mochte und auch wenig Verständnis für seine Handlungen hatte, zu mögen und mit ihm enorm mit zu fiebern.
Ich staune über die Spionagetechniken und -methoden und es ist toll, darüber zu lesen. Dieses genaue sich gegenseitig Beobachten und Belauern, die kleinen Tricks, wie z. B. nach der Rückkehr nachhause, auf dem Boden liegend zu prüfen, ob die dünne Mehlschicht auf dem Fußboden unberührt ist. Ich bin wieder einmal froh, dass meine Familie auf der Westseite gelandet ist und daher weder jemanden bespitzeln mussten, noch ausgespäht wurden. Das war schon eine große Belastung auf der anderen Seite der Grenze und schwelende Gefahr.
Titus Müller vermittelt deutsche Geschichte eines damals geteilten Landes fesselnd. Dieser Roman ist wieder superspannend und für mich weniger brutal als der erste, mit Sorotkins Taten. Er hat mir hervorragend gefallen, noch besser als "Die fremde Spionin" und natürlich ist es "Mein Lesehighlight". Klar hätte ich gern noch weitere 200 Seiten gelesen, aber ich quängel jetzt nicht, dass ich Abschied bis Sommer 2023 nehmen muss. Was gut werden soll, braucht Zeit.
Ich freu mich sehr aufs Weiterlesen, wenn in einem Jahr "Der letzte Auftrag" uns in das Jahr 1989 mitnimmt!
Leseempfehlung! Volle Punktzahl!
_________________ Liebe Grüße von Christiane *********************************** "Wenn Du ein Buch auf eine Reise mitnimmst, dann geschieht etwas Seltsames. Das Buch wird anfangen, Deine Erinnerungen zu sammeln. Du wirst es später nur aufschlagen müssen und schon wirst Du wieder dort sein, wo Du zuerst darin gelesen hast. Schon mit den ersten Worten wird alles zurückkommen - die Bilder, die Gerüche, das Eis, das Du beim Lesen gegessen hast." Mortimer Folchart
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