Randi Crott und Lillian Crott Berthung - "Erzähle es niemandem"Ich habe hier vor einiger Zeit mal „Im Land der weiten Fjorde“ von Christine Kabus vorgestellt.
Dieses Buch hat mich sehr gefesselt. Man erfuhr sehr viel über Norwegen zur Zeit des 2. Weltkriegs und der Autorin wurde mehrfach gute Recherche zum Thema bescheinigt.
Wie gut sie recherchiert hat, habe ich nun gesehen, als ich
"Erzähl es niemandem" von Randi Crott gelesen habe. Gemeinsam mit ihrer Mutter Lillian Crott Berthung erzählt sie die Liebesgeschichte ihrer Eltern. Randi Crott ist Journalistin, einige werden sie vielleicht als Moderatorin und Redakteurin des WDR kennen.
Dass sie jüdische Wurzeln hat, erfährt Randi Crott erst, als sie erwachsen ist. Und genau wie ihre Mutter 1942 soll auch sie jetzt über zwei Jahrzehnte nach dem Krieg mit niemandem darüber sprechen. Bis zum Tode des Vaters bleibt seine Geschichte verborgen. Weggepackt in alten Briefen und Dokumenten.
Mit großer Leidenschaft rekonstruiert die Autorin den Lebensweg ihrer Eltern. Er reicht von der Verfolgung der Juden in Deutschland über die deutsche Besatzung in Norwegen bis hin zu den Problemen der Vergangenheitsbewältigung nach dem Krieg. Randi Crott hat sich in einem bewegenden Buch auf die Suche nach der Geschichte ihrer Familie gemacht. Ohne Hitler hätte es mich nicht gegeben. Welches Gefühl ist für so einen Fall reserviert?
"Ich bin auf der Welt, weil meine norwegische Mutter sich in einen deutschen Besatzungssoldaten verliebt hat. Aber es gibt noch eine andere Wahrheit, die mir lange genug verschwiegen wurde." Randi CrottDie Norwegerin Lillian ist 19, als sie sich in den deutschen Soldaten Helmut verliebt.
Ihre Liebe muss ein Geheimnis bleiben, auch wenn Lillians Eltern davon wissen. Sie sind nicht begeistert, aber tolerieren es zunächst. Doch die Willkür gegen die Norweger nimmt zu und als eine jüdische Familie aus dem Ort deportiert wird, ändert sich das und auch Lilian ist kurz davor, sich von Helmut zu trennen. In der Not vertraut er ihr sein größtes Geheimnis an. Seine Mutter ist Jüdin und als "Mischling" dürfte er eigentlich gar nicht mehr in der Wehrmacht sein. Er hat seinen Job auf der Schreibstube benutzt, um seine Personalunterlagen zu fälschen und versteckt sich seitdem quasi in seiner Uniform. Sollte er jemals auffliegen, würde das den sicheren Tod bedeuten.
"Erzähle es niemandem" lautet daher seine Bitte an Lillian, die nun weiterhin unverbrüchlich an ihm festhält und Helmuts Geheimnis bewahrt und dadurch sogar den Bruch mit ihrer Familie riskiert.
Das Buch wechselt zwischen sachlichen und sehr interessanten Teilen über die Lage in Norwegen, die politischen Hintergründe und das Kriegsgeschehen sowie Randi Crotts Recherche zum Buch und der sehr persönlich und liebevoll erzählten Geschichte von Randi Crotts Eltern. Es gibt sehr viele Briefe, Tagebucheinträge und Fotos, die das Buch sehr lebendig machen.
Der 2.Weltkrieg und der Nationalsozialismus nehmen zwar viel Raum im Geschichtsunterricht ein, aber die deutsche Besatzung Norwegens ist dort allenfalls ein Randnotiz wert.
Der Roman von Christine Kabus hat mir schon gut gefallen, aber die Geschichte von Lillian und Helmut Crott ist noch um Längen besser. Ich habe kürzlich auch erst „Schuhhaus Pallas“ gelesen, in dem Amelie Fried von ihrer Familiengeschichte berichtet. Das Buch ist allerdings ziemlich nüchtern, hält sich viel an Zahlen, Daten und Fakten. Das macht Randi Crott auch, aber dennoch liest sich die Geschichte ihrer Eltern wie ein spannender Liebesroman, ohne dabei die furchtbare Zeit, in der die beiden sich kennenlernen zu beschönigen.
Mir war nicht klar, dass Norwegen zunächst Spielball zwischen England und Deutschland war, um den Transport von schwedischem Eisenerz zu sichern. Und dass dieses kriegswichtige Eisenerz auch der Grund für die Besatzung Norwegens war.
Dass die Politik der verbrannten Erde durchaus wörtlich zu nehmen ist, hat mir eine dicke Gänsehaut eingebracht. Um den Vormarsch der Russen von Norden her zu be- oder verhindern, hat Hitler kurzerhand die Finnmark in Schutt und Asche legen lassen, die Bewohner wurden vertrieben, Höfe und Vieh verbrannt. Der Hass auf die Deutschen und diejenigen, die sich mit ihnen eingelassen haben, war unbeschreiblich groß. Auch zwei Jahre nach dem Krieg gab es immer noch keinen Grenzverkehr zwischen Deutschland und Norwegen, d.h. es war unmöglich Norwegen mit dem Ziel Deutschland zu verlassen. Und auch über Dänemark war eine Einreise nach Deutschland noch verboten. In dem Zusammenhang fiel mir dann wieder Anne ein, die einige Jahre später ja dann immer noch große Mühe hatte, Devisen zu beschaffen. Und man versteht vielleicht auch besser, warum der regelmäßige Fährverkehr Oslo-Kiel 1962 dann fast eine Sensation war.
Es hat mich schwer erschüttert, dass in der Familie nach dem Krieg nie über die Vergangenheit gesprochen wurde, dass die jüdischen Wurzeln einfach verschwiegen wurden.
In dem Zusammenhang hat eine Zeitzeugin und Leidensgefährtin von Helmuts Mutter, die Randi Crott ausfindig gemacht hat, u.a. von Scham gesprochen. Man habe nach dem Krieg aus Scham geschwiegen. Ähnliches schrieb übrigens auch Amelie Fried über ihre eigene Familie. Unvorstellbar! Wofür hätte man sich schämen sollen?
Mich hat das Buch unheimlich gefesselt und ich kann es jedem, der sich für Biografien aus dieser Zeit interessiert, nur empfehlen.