Danke an Ulrike, die es mir möglich gemacht hat, ‚Adressat unbekannt’ zu lesen.
Leider hat mir das Buch nicht wirklich gefallen. Die Geschichte ist mir zu kurz, zu platt, zu klischeehaft. Da im Folgenden ein paar Spoiler beinhaltet sein könnten, hier meine Anmerkungen mit „Leseschutz“.
Die Charaktere sind reichlich schwarz-weiß dargestellt, Eisenstein, der amerikanische Kunsthändler, ist intelligent, kultiviert, großzügig; seine Schwester Griselle, Schauspielerin, ist begabt, mutig und leidenschaftlich. Schulse ist dumm, feige und ein Ehebrecher, Elsa das typische Heimchen am Herd.
Die am Anfang beschworene Freundschaft verliert sich so schnell, dass sie nie wirklich vorhanden hat sein können.
Sehr unglaubwürdig wirkt auf mich die Geschichte von Griselle. Diese erklärt im Herbst 1933 (!) auf der Bühne, sie sei Jüdin und stolz darauf, woraufhin sie das Publikum aus dem Theater jagt. Sie muss sich in einem Keller verstecken und dann nach Wien zurückkehren – wohlgemerkt, nicht mit dem Zug, sondern ganz dramatisch zu Fuß. Warum sie sich nicht an das amerikanische Konsulat in Berlin wendet bleibt offen. Auf dem Weg nach Wien kommt sie bei Schulse vorbei, die SA ist ihr schon auf den Fersen (Warum eigentlich?) und schlägt sie direkt auf Schulses Grundstück tot (Wiederum: Warum eigentlich? Wir haben Herbst 1933 …).
Eisensteins Rache folgt auf dem Fuß, er kompromittiert seinen Partner bei der Gestapo, so dass dieser von der Bildfläche verschwindet – der nächste Brief kommt zurück mit dem Vermerk „Adressat unbekannt“. Pech für die Elsa Schulse und ihre Söhne, die (Stichwort „Sippenhaft“) offenbar auch ins KZ gebracht wurden, denn sonst hätte der Brief ja zugestellt werden können … Fazit: Der Rache ist Genüge getan und wenn es ein paar Unschuldige erwischt hat – sind ja ohnehin nur ‚Nazibälger’.Demzufolge finde ich auch das Vor-/Nachwort von Frau Heidenreich nicht ganz passend. Ich möchte die ‚Kraft des Wortes’ nicht anzweifeln, wohl aber ihre Aussage, dass jeder dieses Buch lesen sollte und dass Deutschland ein besseres Land wäre, hätte jeder dieses Buch gelesen. Deutschland braucht eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus, eine Diskussion über Ausgrenzung, Hass und Vorurteile und darüber, wohin das führen kann. „Adressat unbekannt“ ist mir ein wenig zu klischeebehaftet, um diesen Anspruch zu erfüllen.