Berte-Bratt-Forum

Erstellt von Ute am Montag, April 24, 2006 @ 18:25:04:

Meine Mama hat mir das Buch "Studierte Mädel" von Else Ury zum Geburtstag geschenkt. Es ist ungefähr 1906 erschienen. Ich habe jetzt mit dem Lesen angefangen, bin aber gleich in den ersten Kapiteln über eine Sache gestolpert. Hilde und Daisy, die Heldinnen, besuchen nach dem Abschluss der "Volksschule" ein Mädchen-Gymnasium, um das Abitur ablegen zu können. Es handelt sich um ein Realgymnasium, in dem Fächer wie Mathematik, naturwissenschaftliche Fächer und lebende Sprachen (Englisch, Französisch) eine hohe Bedeutung zugemessen werden - im Gegensatz zu dem humanistischen Gymnasium, das Hildes Brüder besucht haben (Schwerpunkt: die sog. toten Sprachen wie Latein und Altgriechisch). Wenn das Gymnasium, das Hilde und Daisy besuchen, doch eher ein Realgymnasium ist, finde ich es erstaunlich, dass die Mädchen Latein lernen müssen. Interessanterweise findet der Unterricht am Nachmittag statt! Hilde und Daisy müssen sich vor der Schule im Haushalt tummeln, um ihre weiblichen Pflichten nicht zu vernachlässigen. Sie lernen Vokabeln, während sie die Stube kehren und den Tisch decken. Von ihren Brüdern, die inzwischen studieren, hat die Familie keine häusliche Betätigung verlangt!

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Erstellt von Alexandra am Dienstag, April 25, 2006 @ 10:41:45:

Hallo, Ute!
Sind in der Klasse nur Mädchen? Dann könnte ich mir vorstellen, dass die Schule am Vormittag von den Jungs besucht wird und nachmittags eben von den Mädchen. Gemischte Klassen in den höheren Schulen gab es, glaube, ich erst später. Und Latein gilt immer noch als Grundlage für viele moderne Sprachen, besonders in der Grammatik. Außerdem sind die Fachbegriffe in den Naturwissenschaften auch auf Latein.
Und das die Mädels neben ihrer Schule im Haushalt arbeiten und ihre Brüder nicht, war damals völlig normal. Also spiegelt das Buch schon die Realität wieder. Schließlich sollten die beiden wohl später auch heiraten und ihren eigenen Haushalt übernehmen. Meine persönliche Einstellung zu diesen Büchern ist immer folgende: Wenn die Frauen damals mit ihrer Arbeit, ihrer Ausbildung, ihrem Verhältnis zum Mann glücklich waren, ist das völlig in Ordnung. Ich möchte das heute nicht abwerten und auch die Männer nicht verurteilen, die es nicht anders gelernt haben. Ich bin aber froh, dass zumindest mein Mann und ich gleichberechtigt leben, in Arbeit und Familie. Was man nicht vergessen darf, ist, dass wir inzwischen zwei Kriege hatten, die die Frauen zwangen in "Männerberufe" zu gehen und auch Männer durch Verwundungen zwangen, den Haushalt zu übernehmen.

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Erstellt von Bienchen am Dienstag, April 25, 2006 @ 12:17:36:

Auch in "Nesthäkchen und der Weltkrieg" geht Annemarie nachmittags ins Gymnasium, da aus Platzgründen in Doppelschichten unterrichtet wurde.
Mädchen lernten auch schon vorher Latein (Luise Glass: Gustel Wildfang (1900)), Latein wurde gelehrt um das logische Denken zu fördern, da es sich um eine sehr logische, strukturierte Sprache handelt. Oft ist das heute auch noch das übliche Argument weiter Latein an den Schulen zu lehren.
Auch heute müssen sich viele Schülerinnen und Studentinnen im Haushalt nützlich machen, nur tun sie das Nachmittags und am Wochenende, da hat sich bis heute nichts geändert. Von den Jungs wird das meines Wissens auch heute nur selten verlangt.

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Erstellt von Ute am Donnerstag, April 27, 2006 @ 15:34:55:

Stimmt: an den Nachmittagsunterricht von Annemarie Braun im Band "Nesthäkchen und der Weltkrieg" habe ich gar nicht mehr gedacht. Könnte schon sein, dass die Schule morgens von den Jungen und nachmittags von den "Blaustrümpfen" genutzt wurde. Die Schule, an der die Mädchen zuvor ihren "Volksschulabschluss" abgelegt hatten, war jedenfalls eine öffentliche Schule mit klassischem Vormittagsunterricht.
Latein als Eintrittskarte für die Universität (gerade wenn man Medizin studieren will) ist natürlich wichtig. Ich habe bloss geglaubt, dass dieses Fach an einem Realgymnasium entfallen würde. (Ich habe selbst an meiner Schule das sog. "Kleine Latinum" erworben und musste während meiner Semesterferien einen sog. Crashkurs von 8 Wochen machen, um dann das sog. Große Latinum in einer Externenprüfung vor einer Kommission an einer öffentlichen Schule abzulegen - war sehr zeit- und lernintensiv...)

Interessant finde ich, dass für den Besuch der weiterführenden Schule eine Prüfung angesetzt wird - das Zeugnis der Volksschule reicht allein nicht aus. Das Abitur wird später von einer speziellen Kommission abgenommen; die Lehrkörper der Schule (schreckliches Wort) bereiten nur auf die Prüfung vor. Hilde und Daisy klinken sich für eine gewisse Zeit vom Unterricht aus, um als "Wilde" auf eigene Verantwortung zu lernen und später wieder in einen Klassenverband einzutreten (sie sparen dadurch Zeit und benötigen nicht die vollen drei (???) Jahre.)

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Liebe Grüße
Rabea
Gedanklich am Meer