Als Julianne Moore für die Darstellung von Alice in „Still Alice – Mein Leben ohne gestern“ den Oscar bekam, dachte ich nicht gleich an das Buch, was ich vor einigen Jahren ungelesen unserer Bibliothek spendete. Ich hatte es einfach aussortiert, weil ich meinte, es ohnehin nicht zu lesen und dann war es besser in der Bibl. aufgehoben, um anderen auch zur Verfügung zu stehen. Auf dem Weg zur Leipziger Buchmesse sprach einen Dame mit mir über den Film und fragte mich, ob ich etwas zu dem Buch sagen könnte. Da erst fiel mir ein, dass der Kinofilm sich auf das von mir vor Jahren verschmähte Buch bezog. Nun, letzte Woche habe ich mir mein Buch selbst ausgeliehen und es wurde mein Lesehighlight März.
Über zwei Jahre verfolgt der Leser in Episoden das Leben der 50-jährigen Alice Howland, Professorin für kognitive Psychologie an der Harvard-Universität. Alice kann auf eine geglückte Karriere auf dem Gebiet der Psycholinguistik zurückblicken, ihr geliebter Ehemann John hat ebenfalls eine beeindruckende wissenschaftliche Laufbahn vorzuweisen. Die drei erwachsenen Kinder Anna, Tom und Lydia sind erfolgreich ins Leben gestartet, auch wenn Alice mit Lydias Berufswunsch, Schauspielerin zu werden, nicht ganz glücklich ist.
Im September 2003 fällt Alice erstmals auf, dass sie zunehmend unter Vergesslichkeit leidet. Immer häufiger verlegt sie Dinge, vergisst einen Termin mit ihrem Doktoranden und in der Vorlesung will ihr partout ein bestimmtes Wort nicht einfallen. Alice führt diese Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen auf Stress und ihre Wechseljahre zurück. Als sie jedoch eines Tages auf ihrem üblichen Heimweg plötzlich nicht mehr weiß, wie sie nach Hause kommen soll, beschließt Alice, sich untersuchen zu lassen. Nach zahlreichen Tests erhält sie im Januar 2004 eine schockierende Diagnose: sie leidet an der früh einsetzenden Alzheimer-Krankheit.
Alice lässt sich zunächst allerlei Tricks einfallen, um ihre „Ausfälle“ zu kaschieren. Doch mit Fortschreiten der Erkrankung kann sie keine Vorlesungen mehr halten, kann nicht mehr reisen und muss ihren Lehrstuhl in Harvard aufgeben.
Lisa Genova beschreibt auf sehr einfühlsame Weise, was sich in Alices Gedanken- und Gefühlswelt abspielt, sowohl zu Beginn ihrer Erkrankung als auch mit fortschreitendem Verlust ihres Gedächtnisses. Nachdem zuerst vor allem das Kurzzeitgedächtnis betroffen ist und Alice alles in ihrem Blackberry vermerkt, erlebt man mit, wie schmerzhaft es für Alice ist, nach und nach auch alte, lieb gewonnene und wertvolle Erinnerungen zu verlieren.
Sehr beeindruckend schildert die Autorin nicht nur die Verluste und die Entfremdung, sondern auch „Gewinne“, die erhöhte Sensibilität Alices für das Ungesagte und die unausgesprochenen Gefühle. Nicht zuletzt gelingt es Lisa Genova die schwere Belastung, die diese Erkrankung auch für die Familie bedeutet, beeindruckend deutlich zu machen. Dabei sind ihre Schilderungen klar, ausdrucksstark, aber ohne Pathos.
Lisa Genova gewährt in ihrem Roman einen Einblick in das nicht leichte Leben eines Alzheimer-Patienten, in dem das Gestern verschwindet und das Morgen unsicher wird. Trotzdem und gerade deswegen benötigen diese Menschen Empathie, denn die Gefühle bleiben – oder wie Alice am Schluss sagt: „Ich fühle Liebe.“
Man will sich nicht vorstellen, dass früh einsetzende Alzheimerkrankheit, einen bereits so jung beeinträchtigen kann und den Erkrankten abscheulich schnell in eine eingeschränkte Welt schiebt. Für ihren Mann ist ihre Veränderung schwer mitzutragen; die gemeinsamen drei Kinder halten sich überraschend tapfer und unterstützen die Mutter auf dem Weg ins Vergessen. Sehr schön gefallen hat mir Lydias Videogeschenk und auch Alice Iniative eine Selbsthilfegruppe für andere jüngere Alzheimerpatienten zu starten. Das Buch erzählt sachlich und drückt nicht auf die Tränendrüse. Es vermittelt auch von Alice auf den letzten Seiten noch ein liebevolles Bild.
Gestern war ich nun im Kinofilm und nun ja, er kommt erwartungsgemäß nicht so gut weg. Wenige Buchverfilmungen lassen einen zufrieden aus dem Kinosaal gehen. Um die Problematik und das Geschehen zu begreifen, bedarf es das Buch zu lesen. Im Film wurde mir vieles zu wenig deutlich, ihre Lehrtätigkeit wird nur wenig gezeigt, die Szene mit dem Aufenthalt in der falschen Küche, die Selbsthilfegruppe fehlen und auch kommt Alice Mann sehr viel schlechter weg. Er ist nicht dabei, wenn sie die Rede vor den Ärzten hält und geht weniger liebevoll mit ihr um. Im Buch ist er bemüht und engagiert eine bessere Therapie zu finden um den Fortgang der Krankheit aufzuhalten oder zu verlangsamen.
Ich kann wirklich empfehlen das Buch zu lesen!
_________________ Liebe Grüße von Christiane *********************************** "Wenn Du ein Buch auf eine Reise mitnimmst, dann geschieht etwas Seltsames. Das Buch wird anfangen, Deine Erinnerungen zu sammeln. Du wirst es später nur aufschlagen müssen und schon wirst Du wieder dort sein, wo Du zuerst darin gelesen hast. Schon mit den ersten Worten wird alles zurückkommen - die Bilder, die Gerüche, das Eis, das Du beim Lesen gegessen hast." Mortimer Folchart
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