Es ist sehr interessant, daß manche Passagen, die in der 1950er Ausgabe enthalten sind, in die stark gekürzte Omnibus Ausgabe aufgenommen wurden, nicht aber in die Ausgabe des Hoch-Verlages von 1986.
Ich beschränke mich daher mal auf eine weitere Passage, die weder in dem einen, noch in dem anderen Buch unter der Überschrift "Maisonntag" zu finden ist. Die Ausgabe vom Hoch-Verlag endet damit, daß Ursel Margot Thielen als Hauswirtschafterin vorschlägt. Die Ausgabe des Omnibus-Verlags berichtet ergänzen, daß Annemie Ursel auffordert, zusammen mit Trude den Tisch zu decken - zusammen mit Hansi, sie zählen die Personen, die an diesem Tag kommen werden und geraten dabei in eine geschwisterliche Kabbelei. Es geht dann wie folgt in der Ausgabe von 1950 weiter:
"Habe ich so geblökt oder du? Na los! Ist ein Zentimetermaß oder ein Zollstock zur Hand?"
"Wozu denn? Willst du die Stärke der Kuchenstücke etwa abmessen?", fragte die Schwester.
"Nee, aber die Raumverhältnisse mathematisch einteilen. Der Tisch hat zweieinahlb Meter Längenmaß. Wenn unten und oben einer sitzt, kommt jeder auf einen halben Meter Flächeninhalt. Warte, ich werde jedesmal einen Bleistiftstrich machen, wo Du eine Tasse hinsetzen darfst." Hans begann mit Metermaß und Bleistift zu hantieren.
Da aber erwachte in Urlasel doch die vermkümmerten Hausfrauengefühle. "Was - Mutters schönes Veilchengedeck willst Du bemalen? Du bist wohl nicht ganz" - ihre Hand, welche ihm bei der Vandalenarbeit Einhalt tun wollte, wurde statt dessen von der seinigen wie in einen Schraubstock gepreßt .
Nach der Ausgabe des Omnibus-Verlages erscheint dann Trude und schickt die zwei weg und deckt den Tisch selbst fertig. Auch dies fehlt in der Ausgabe des Hoch-Verlages aus den 80er.
Aber der Nachmittag ist noch nicht zu Ende. Darüber berichtet ja das Kapitel "Freundinnen" - welches - wie ich festgestellt habe, sowohl in der Ausgabe des Omnibus als auch in der des Hochverlages um Seiten gekürzt wurde. Die Bücher enden damit, daß sich Annemie die Frage stellt, ob nicht für Margot und Hans ein neues Lebensglück möglich sei.
In der Ausgabe von 1950 geht es wie folgt weiter:
Aus dem Wohnzimmer erklang es vom Flügel her: "Ihr, die ihr die Triebe des Herzens kennt, sagt, ist es Liebe, was hier so brennt. "Ursel sang das Pagenlied aus dem Figaro.
Nachdem man sich genug am Tischtennis ergätzt hatte, waren die jungen Mädchen in das Musikzimmer gezogen, während Hans seine Vettern zu seinen naturwissenschaftlichen Sammlungen schleppte.
"Was für eine prachtvolle Stimme eure Ursel hat." Vera, die selbst sehr musikalisch war, horchte auf. "Weißt Du Annemaie, es ist wirklich ein Jammer, daß ihr sie nicht ausbilden laßt".
"Pst - laß dau das nich tmeinen Mann hören. Du ziehst dir seine ewige Feindschaft zu. Er will absolut keine Theaterprinzessin zur Tochter haben. Teilweise wird er ja auch im Recht sein. Die Ursel ist ohnedies schon ein bißchen leichtsinnig. Und die Bühne mag wirklich nicht der geeignete Boden für sie sein. Sie hat morgen ihre erste Gesangstunde. Da wird sich´s ja zeigen, bo sie wirklich ein besonderes Talent hat. Wahre Kunst bricht sich überall Bahn."
"Ich halte es für einen Fehler, Urselchen bei ihrer Begabung in einen ihr nicht zusagenden Beruf hineinzupressen", meinte auch Frau Braun gedankenvoll. "Das rächt sich früher oder später."
"Natürlich, die gute Omama nimmt sich ihres armen Lieblings, der von den eigenen Rabeneltern nicht genug gewürdigt und zur Fronarbeit ums tägliche Brot verdammt wird, an. Der Ursel schadet es gar nicht, wenn sie ihr eigenes Persönlichen mal unterordnen und regelmäßige Pflichterfüllung lernt. Im Gegenteil, es ist für Ursel geradezu notwendig ---"
"Was ist für mich notwendig?" Ein Blondkopf mit neugierig gespitzten Ohren erschien in dem offenen Fenster des Wohnzimmers.
"Daß Du Dich um das Abendbrot kümmerst, anstatt dich hier als Primadonna aufzuspielen", lachte die Mutter sie aus. "Nein, Mutzichen, sag doch", bestürmte sie Ursel.
"Ich sag es ja Ruth und Edith kommen jetzt zu uns heraus und du hilfst der Trude beim Brotzurechtmachen und den Abendtisch herzurichten. Wird es Dir auch hier draußen auf der Terrasse nicht zu kühl werden, Muttchen?" wandte sich Annemarie an die alte Dame, "dann decken wir drin."
"i bewahre, es ja glutenheiß draußen", rief Freulein Naseweis dazwischen. "Ursel, die Omama braucht keinen Vormund", bedeutete ihr die Mutter.
Aber die Omama wollte natürlich kein Störenfried sein. Vorläufig war es ja auch wirklich noch ganz warm und später - nun man würde ja sehen, die Siebzig braucht freilich mehr Wärme als die Siebzehn. Das konnte sich Ursel nicht vorstellen. Das Urselchen saß bereits wieder an ihrem geliebten Flügel und spielte ein Potpourri aus allen möglichen Opern.
"Ursel, Du sollst doch Stullen belegen", fuhr Frau Annemarie nicht gerade sehr kunstverständig dazwischen.
"santruzza, reize mich nicht, denn ich bin nicht dein Sklave", --- erklang Ursels Antwort aus "Cavaleria rusticana" vom Flügel her. Natürlich hatte sie die Lacher wieder auf ihrer Seite.
"Ein schreckliches Kind. Ursel, jetzt hörst du aber mit dem Unsinn auf. Willst du dich nun ums Abendbrot kümmern oder nicht?". Frau Annemarie markierte die strenge Mutter.
"nicht sollst Du mich befragen", antwortete das "Lohengrin-Motiv". "Ursel, du willst doch nicht wollen, daß ich selbst mich meinen Gästen entziehe?"
"Mit einer Mutter hab Erbarmen." Jetzt hatte das lose Mädel den "Prophet" beim Wickel.
Frau Annemarie erhob sich resulut unter allgemeinem Gelächter. Man konnte sich von der Krabbe doch nicht auf der Nase herumtanzen lassen, noch dazu in Gegenwart der Freundinnen. Da aber war auch bereits Ursel mit einem schrillen Schlußakkord aufgesprungen. "Ich geh ja schon, Mutzi. Auf in den Kampf, Torero!" Unter "Carmens" Klängen wollte sie abmarschieren. "Ursel nun sei doch bloß mal einen Augenblick verständig. Trude soll Teewasser für die Omama aufsetzen.
"Lodernde Flammen schlagen zum Himmel empor." Die Zigeunerin-Arie aus dem "Troubadour" war das letzte, was Ursel von ihrer Sangeskunst zum besten gab. "Ein Teufelsmädchen!", sagte der Professor hinter ihr her voller Vaterstolz.
"Ja, du bist schuld Rudi, daß das Mädel vollgepfropft ist mit Opern, Du hast sie ja schon als Kind stets mitnehmen müssen. Nun hast du den Salat. - Ach richtig, den Heringssalat. Ursel soll ihn mit Essigkirschen garnieren. Vielleicht sagst du es ihr mal, Ruth."
"Dürfen wir Ursel nicht helfen, Frau Professor?" "Meinetwegen, Mädels, Aber ich fürchte, es wird nicht viel bei eurem Triumvirat rauskommen. Laßt auch noch ein paar Kirschen für die Salatgarnierung übrig."
"Ich träume als Kind mich zurück", sagte Frau Vera gedankenvoll. "Wenn ich deine Ursel mi tihren Freundinnen so sehe - Jahre versinken. Wir haben die Zöpfe gerade erst abgeschnitten und springen so frohgemut, so glückerwartend ins Leben, wie heute die Kinder. Ist das wirklich bald ein Menschenalter her?"
"Das ist ja das schöne, Vera, daß wir uns in unseren Kindern wiederfinden, uns wider in ihnen erneuern. Aber solch ein Frechdachs wie die Ursel war ich doch nie und nimmer, nicht wahr, Muttchen?"
"Nana, der Apfel fällt nicht weit vom Stamme, Annemarie", gab der Amtsrichter anstatt seiner Mutter die brüderliche Antwort.
Frau Annemarie hatte dem Triumvirat Unrecht getan. Es dauerte nicht lange, da stand ein leckeres Tischleindeckdich draußen auf der Terrassee. Wiviel freilich von den Vorbereitungen auf Ursels Teil kam, mag dahingestellt bleiben.
zartlila verhangene Lampen glänzten wie seltsame Riesenschmetterlinge in den blütenschweren Abend hinaus. Silbern klangen die Gläser mit der duftenden Maibowle aneinander. Manch Vorübergehender wandte den Kopf zu der magisch beleuchteten Blumenterrasse zurück und dachte: Glückliche Menschen
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