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BeitragVerfasst: 28.06.2014, 13:37 
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gesprächiges Gnu
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Lillis Weg ist der Fortsetzungsroman zu Lilli Liliput. Einige Jahre sind seid dem ersten Band vergangen, der erste Weltkrieg ist vorbei (er dauerte von 1914-1918) und Lilli Steffen und Ilse Gerhard haben ihre Ausbildung im Lettehaus* beendet. Lilli (jetzt wahrscheinlich um die 18 Jahre alt) hat eine Ausbildung zur Kaufmännischen Angestellten und Ilse Gerhard zur Röntgenassistentin gemacht. Diese Ausbildung ist für beide Mädchen eine Vernunftentscheidung, denn sie werden dringend als Zuverdiener gebraucht. Eigentlich wollte Lilli aufs Gymnasium und studieren, da jedoch der Vater verwundet aus dem Krieg zurückgekehrt ist und sich in einem Sanatorium im Schwarzwald wieder erholt, verzichtet sie für ihren Bruder darauf. Mit den in „Lilli Liliput“ gewonnen 1000 DM finanziert sie ihrem Bruder das Studium der Ingenieurwissenschaften und macht selber nur eine Ausbildung im Lettehaus, auch wenn ihr diese Entscheidung schwer fällt.

Ilse Gerhards Situation ist fast die Selbe. Ihr Vater geriet während einer geschäftsreise in Minenangelegenheiten in russische Gefangenschaft und sie erfährt nur manchmal Neuigkeiten über ihn von Sonja Petrowicz, der ehemaligen Pensionsgästin bei Steffens. Ihre und ihrer Mutter Lage ist desolat. Die Mutter, welche nie unter Geldmangel gelitten hatte, sich nie mit so etwas auseinandersetzen musste, ist mit der Lage vollkommen überfordert. Sie überlässt aller ihrer Tochter und vegetiert vor sich hin. Ursprünglich bot die Bank, bei welcher Bankdirektor Gerhard arbeitete ihnen an, das Gehalt ihres Mannes weiter zu zahlen, aber zu stolz oder zu dumm um ihre Lage wirklich einzuschätzen, lehnt sie dieses Angebot ab. So sind beide Frauen in echten finanzielle Nöte geraten und Ilse ist nicht nur gezwungen zu arbeiten, sonder sie müssen sogar die Villa inklusive des meisten Mobiliars verkaufen an ungebildete „Kriegsgewinnler“. Lilli ist Ilse bei der Wohnungssuche behilflich, da diese zu überhöhte Ansprüche stellt und vollkommen überfordert mit der Situation ist, in welcher die Mutter eher last als Hilfe ist. Schließlich mieten sich die beiden Frauen Gerhard in einer kleinen 4 Zimmer Erdgeschosswohnung bei Frau Gemoll (von den Mädchen Gedur genannt) ein.

Lilli beginnt ihre Laufbahn als Beamtin der städtischen Sparkasse (wegen des Pensionsanspruches), muss jedoch bald feststellen, dass diese Stellung nichts für sie ist. Gutherzig wie Lilli ist, nimmt sie ein vernachlässigtes, ungezogenes Straßenkind namens Ingeborg bei sich auf welches den Steffenschen Haushalt ziemlich aufmischt. Dieses Straßenkind animiert sie zu dem Märchen „Die Lumpenprinzessin“ welches sie während ihrer Arbeitszeit an einem Zug durchschreibt. Lilli leidet in der Sparkasse sehr unter den Anfeindungen einer neidischen Kollegin, und auch fällt es ihr schwer sich auch die langweilige Rechnerei zu konzentrieren, auch wenn sie sich auch noch so sehr bemüht.

Bei einem Pfingstausflug lernt Lilli einen Zeitungsredakteur kennen, der ihr anbietet sie als Sekretärin einzustellen. Nach langem Ringen kündigt sie die Stelle bei der Sparkasse, da ihr Vater mittlerweile zurückgekehrt ist und ihr dazu rät, da er sieht wie unglücklich seine Tochter ist.

Ingeborg kommt nach einer Weile zu Tante Gretchen, der angehimmelten Sportlehrin aus „Lilli Liliput“, die mittlerweile Lilis Onkel Martin geheiratet hat (die beiden bekommen später eine kleine Tochter). Da Ingeborg so ein blasses Stadtkind ist kommt sie zusammen mit Lena Ritter, welche mittlerweile eine Ausbildung zur Lehrerin gemacht hat, „Auf die Ostpreußische Weide“. Dort wird sie von einer Bauernfamilie aufgenommen, die selber so viele Kinder hat, dass eines mehr nicht auffällt.

Auch Lillis Kleine Schwester kommt als Stadtkind für einige Zeit zur Erholung nach Schweden.

An ihrer neuen Stelle als Sekretärin für den Redakteur der Kinderbeilage ist Lilli sehr viel glücklicher. Nach einer Weile überlässt ihr Chef ihr sogar selber Buchbeschreibungen zu verfassen und Manuskripte zu sichten. Als dieser schwer an der Grippe erkrankt, darf Lilli diese Beilage sogar selber zusammenstellen. Nun ist für die die Gelegenheit gekommen wieder etwas zu veröffentlichen. Unter einem Pseudonym veröffentlicht sie das Gedicht „Knecht Ruprechts Rundfunkt“ (erschien vollständig von Else Ury 1926 im Meidinger Kinderkalender). Ihr neuer Chef, Doktor Raabe, hält nichts von weiblichen Schriftstellern, ist jedoch von den Werken von Lillis männlichem Pseudonym „Stefan Limann“ sehr angetan. So ist es Lilli eine heimliche Genugtuung immer mehr zu veröffentlichen und nur allein zu wissen, dass diese Geschichten von einer Frau geschrieben wurden.

Ilses Vater kehrt nach langer russischer Gefangenschaft nach Hause zurück. Der Schlüssel zu seiner Villa, war während dieser harten Zeit sein größter Schatz. Die neuen Mieter sind tatsächlich so dämlich nach dem Kauf nicht die Türschlösser zu wechseln, so dass Herr Gerhard zuerst gar nicht merkt, dass es sich mittlerweile nicht mehr um sein Haus handelt, bis er für einen Einbrecher gehalten wird. Die Situation klärt sich aber schnell und die neuen Mieter teilen ihm mit, wo er seine Familie finden kann.

Sonja Petrowitcz kehrt als Geigenschülerin an die Berliner Musikschule nach Berlin zurück und wohnt wieder bei Steffens. Sie war es die Herrn Gerhard mit einem falschen Ausweis auf den Namen ihres Bruders nach Deutschland zurückgebracht hat, da in Russland schwere Unruhen ausgebrochen sind (möglicherweise ein Hinweis auf Gründung der Dritten (kommunistischen) Internationalen durch Lenin 1919. Die Bolschewisten setzten sich in der Ukraine durch, wo eine Sowjetrepublik entsteht). Es ist Sonja, die Lilli dazu überredet ein Weihnachtsmärchen an ein Berliner Theater zu schicken. Dieses Märchen wird angenommen und ein riesiger Erfolg, die Kritiken sind alle überschwänglich positiv, nur die von Doktor Raabe ist mit Einschränkungen positiv. Diese kleinen Kritiken stürzen Lilli in tiefste Verzweiflung (Hatten die Mädchen damals keine Angst ihr Gesicht und ihre Würde zu verlieren, dass sie wegen jeder Kleinigkeit gleich losheulen, nicht nur in dieser Situation?). Sie traut sich kaum nächsten Tag kaum in die Redaktion. Nach einen Heftigen Streit mit ihrem Chef, der in einer Kündigung und einem Heulkrampf endet, versucht dieser sie zu trösten, was in einem Heiratsantrag endet (absolut vorhersehbar). Die beiden ziehen nach ihrer Hochzeit in die Wohnung, wo Gerhards wohnten, da Herr Gerhard mittlerweile ein neues Haus gefunden hat.

In diesem Buch wird die Frau zwar als Zuverdienerin geduldet, aber sobald sich die Situation gebessert hat, heißt es wieder „ab an den Herd“. Lilli muss ihre Stellung aufgeben, um bei Ihrer Mutter in die Lehre zu gehen, damit sie eine gute Hausfrau wird, und Lena kündigt auch, da ihr Vater der Meinung ist, dass die Tätigkeit zu anstrengend ist und sie so blass *****. Hier wird ganz Klischeegemäß angedeutet, dass der Arzt bei welchem Ilse beschäftig war, deutliche Heiratsabsichten geäußert hat.

Anders als in den Inhaltsangaben anderer Internetseiten, bin ich nicht der Meinung, dass diesem Buch Arbeit der Frau positiv gewürdigt wird. Es wird ziemlich klar gemacht, dass die Arbeit notwendig ist und den Neigungen der Hauptpersonen zuwider läuft. Diese wählen sobald sich die Situation gebessert hat wieder den rechten Weg als Hausfrau. Es wird immer wieder darauf hingewiesen wie wichtig das Gehalt Lilis oder Ilses für die Familienkasse ist, der Beruf wird nicht als Erfüllung oder Berufung gesehen sonder als eine notwendige Angelegenheit. Daher wählt Lilli auch diese Karriere und geht nur zur Uni und studiert das, was sie erfüllen würde, sie trifft eine Vernunftentscheidung. Es bleibt jedoch die kleine Hoffnung dass Lilli bei ihren Mann weiterarbeiten und sie die Kinderbeilage als Onkel Hans und Tante Lilli zusammen herausgeben werden, inwieweit sich diese in Kombination mit Kindern erfüllt hätten, steht jedoch in den Sternen.

Interessant ist dass heutzutage dicke Menschen eher als gemütliche, freundliche Menschen gelten. Hier in diesem Buch jedoch Herr und Frau Vorbrodts (die Käufer der Gerhardschen Villa) Fettleibigkeit als negatives, abstoßendes Merkmal gegenüber, teilweise sogar ins Lächerliche gezogene Merkmal, der (zierlichen) Schlankheit aller anderen Personen herausgestrichen wird. Spricht da der Neid der Autorin, die zu dieser Zeit vielleicht auch nicht viel zu essen hatte, auf die "Kriegsgewinnler", denen es gut ging?

* Das Lettehaus wurde vom Zentralverein für das Wohl arbeitender Klassen in Preußen gegründet. Präsident Lette konzentrierte einen Teil seines Programms auf unverheiratete Frauen der mittleren und höheren Klassen. Trotz seines gemäßigten Standpunktes als Volkswirtschaftslehrer war er der Meinung Frauen sollten durch Schulung in praktischer Berufstätigkeit zu sozialer Unabhängigkeit herangebildet werden. Durch dieses Wirken glaubte er die Auffassung zu bekräftigen: "Die äußere Achtung vor den Frauen ist ein entscheidendes Kriterium über den Fortschritt und Grad der Zivilisation der verschiedenen Völker."

Fazit: Einerseits ziemlich viel Young Adult Kitsch, wie man ihn auch heute in diesem Genre findet, andererseits durch die Darstellung der damaligen Verhältnisse für ein Publikum eben dieser Zeit, sehr interessant zu lesen.

Das Buch ist eigentlich recht selten, da es zeitweise jedoch nicht so gesucht ist rangiert es zwischen 40€ - 80€

4 Sterne


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