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 Betreff des Beitrags: Jungmädelgeschichten
BeitragVerfasst: 28.06.2014, 12:29 
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gesprächiges Gnu
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Dieses 1923 erschienene Buch von Else Ury enthält vier Kurzgeschichten, von denen zwei bereits zuvor in verlagseigenen Jahrbüchern erschienen waren und hier, aufgrund der Beliebtheit der Autorin, noch einmal gesammelt mit aufgelegt wurden.

1. Die beiden Ilsen
Die zwölfjährige Berlinerin Ilse Klein bekommt auf zwei Jahre Besuch von ihrer Cousine Ilse Groß, genannt Illa. Cousine Illa kommt aus Ortelsburg (heute Szczytno) in Ostpreußen und si so gar nicht, wie sich Ilse diese vorgestellt hat. Illa ist eher schüchtern, spricht einen seltsamen Dialekt, ist vierschrötig, linkisch und auch nicht von so schneller Auffassungsgabe wie Ilse und ihre Freundinnen. Obwohl ein Jahr älter, wird Illa in Ilses Klasse eingestuft und wird schon bald zu verlachten und geneckten Außenseiterin.

Das Thema dieser Geschichte ist modern und zeitlos: Mobbing. Else Ury ist eine sehr genaue Beobachterin und bewusst oder unbewusst beschreibt sie in dieser Geschichte die Mechanismen des Mobbing. Illa ist ein typisches, klassisches Opfer und hat schon bald den Spitznamen „schwarzer Peter“ weg, weil jede der Freundinnen sich weigert den „schwarzen Peter“ aufgebuckelt zu bekommen. So sehr Illa sich bemüht, es wird nur immer schlimmer. Ilse erkennt, was passiert. „Sie wußte ganz genau, daß sie sich jetzt vor allem gegen Annis Bevormundung auflehnen und sich damit auf die Seite der Kusine stellen müßte. Aber falsche Scham hielt sie davon zurück.“ (S. 52). Erst als ein Unglück geschieht (das die Autorin aus „Baumeisters rangen recycelt“) wendet sich das Blatt für Illa.

Allgemein zeichnet die Autorin ein sehr treffendes Bild eines weiblichen Teenagers, wie er auch heute noch anzutreffen ist. „Ilse was unzufrieden mit der Weltordnung, die den Frauen den hauswirtschaftlichen Anteil überlassen hatte.“ (S. 8). So geht es auch den heutigen Teenagern, nur dass die Hausarbeit gottlob langsam auch mal den Jungs aufgebürdet wird. In dieser Kritik ist die Autorin sogar recht modern.

2. Frau Hitt
Diese Geschichte erzählt von einem Sommerurlaub in Bayern und einem Ausflug nach Österreich. Die zehn Jahre alte Marianne Fiedler fährt mit ihren Eltern und Urlaubsbekanntschaften zur Frau Hitt (ein Gipfel der Nordkette, der südlichsten Gebirgskette des Karwendel, der einer Frau auf einem Pferd ähnlich sieht). Laut einer Sage, wurde eine geizige, reiche Bürgerin von einer Bettlerin verflucht, weil diese ihr statt einer milden Gabe einen Stein zuwarf. Zur Strafe wurde Frau Hitt versteinert. Als nun Marianne von einem Bettler um einen Kreuzer angebettelt wird und ihm nichts gibt, stürzt sie dies in Gewissenskonflikte.

Eigentlich ein kleines, harmloses Geschichtchen darüber, wie real Märchen und Sagen für Kinder doch tatsächlich sind. Realität und Fantasie verschwimmen in diesem Altern noch.
Die Stärke dieser Geschichte ist Urys genaue Beobachtungsgabe und wie sie sich in dieses Kind und seine Beweggründe einfühlen kann.

3. Kinderhirtin
Diese Geschichte erschien zunächst in „Das Kränzchen“ Jahrgang 34 (1922), S. 610 ff. Erzählt wird die Geschichte der sechzehnjährigen Ruth Weber. Ruth hat gerade die Schule beendet und bis zum Beginn ihrer Ausbildung ist ein halbes Jahr Zeit. Ruth möchte dieses halbe Jahr einfach nur genießen, Faullenzen, Lesen und Tennis spielen. Ihre Eltern sehen das natürlich ganz anders, die wollen sie im Haushalt einspannen. Ruth ist davon wenig begeistert, und hat so gar keine Lust ihren kleinen Bruder zu hüten, zu putzen und zu kochen. Statt dessen nimmt sie einen Job als Kinderhirtin an und muss feststellen, dass sich hinter diesen achso ehrenvollen Amt, nichts anderes als eine Stelle als Babysitter verbrigt.

Ruth ist ein typischer Teenager und könnte genauso heute in Berlin leben. Die Eltern sind auch genauso, wie heutige Eltern sind und wären. Klar hat Ruth so gar keine Lust auf Hausarbeit und wenn schon Kinderhüten, dann wenigstens bezahlt. Obwohl oder vielleicht gerade weil die Geschichte eher harmlos ist, ist sie zeitlos. Das Besondere an dieser Geschichte ist, wie lebendig Ruth wirkt, man fiebert mit und muss sich dermaßen fremdschämen, wenn sie schon wieder Mist baut, dass man kaum weiterlesen kann. So was ist mir schon lange nicht mehr passiert, dass ich so mit einer Figur mitlitt und kaum ertragen konnte zu sehen, was sie nun schon wieder macht, denn man weiß, es wird schiefgehen.

4. Der Hertasee
Diese Geschichte erschien bereits in „Der Jugendgarten“ Band 47 (1922) S. 87-115. Erneut eine Urlaubsgeschichte, in der die Autorin beschreibt, wie sich für Kinder Realität und Sagenwelt mischen. Die zwölfjährige Herta und ihr schüchterner, schwächlicher kleiner Bruder Wolfgang Weiß machen mit ihren Eltern Urlaub auf Rügen in Stubbenkammer. Die Legende vom Hertasee hat es Herta angetan und sie geht auf die Mutprobe ein, in der Vollmondnacht vor dem Hertafeste heimlich an den See zu gehen und eine Seerose zu pflücken, denn angeblich geht die Göttin Herta in dieser Nacht im See baden und wer sie sieht stirbt.

Eine schöne, harmlose Urlaubsgeschichte, in der Else Ury die Mechanismen beschreibt, die ein Kind dazu bringen eine Mutprobe durchzuziehen, von der es weiß, dass es falsch und gefährlich ist. Es geht um falsche Scham und den Wunsch, sich hervorzutun.
Besonders lustig sind Urys treffende Beschreibungen der Seekranken Reisenden „Manche der Seefahrer, meist dem weiblichen Geschlecht angehörend, lehnten wohl auch mit grünlich fahler Gesichtsfarbe auf ihren Plätzen, bohrten krampfhaft lächelnd mit starrem Blick ein Loch in den Himmel und hatten nur den einen Wunsch, so schnell wie möglich wieder festes Land unter den Füßen zu fühlen.“ (S. 155)


Vier zeitlose Geschichten über selbstbewusste Mädchen der 1920er Jahre. Zeitlos und genau beobachtet.
Die ersten drei Auflagen erschienen unter dem Namen „Jungemädelgeschichten“ (1. Auflage,
6. - 10. Tausend, 11. - 13. Tausend) später wurde das Buch für die letzte Auflage (14. - 16. Tausend) in „Die beiden Ilsen“ umbenannt, wohl um eine Verwechslung mit dem gleichnamigen Buch von Marie Beeg zu vermeiden.

5 Sterne


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